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Jesus als Israel: Flucht vor Herodes dem Großen

Anne Frank in der Schule, 1940

Anne Frank ist durch ihr Tagebuch bekannt („Das Tagebuch der Anne Frank”), das sie schrieb, als sie sich während des  Zweiten Weltkriegs in Amsterdam vor den Nazis versteckt hielt. Doch ihre Flucht vor Verfolgung hatte bereits Jahre zuvor begonnen, als die Familie sich hinter einer Bücherwand im Hinterhaus versteckte. Sie wurde 1929 in einer jüdischen Familie in Deutschland geboren. Als aber die Nazis 1933 an die Macht kamen, beschloss ihr Vater, Otto Frank, dass es das Beste sei, aus Deutschland zu fliehen. Somit wuchs Anne als Ausländerin in den Niederlanden auf.

1940 jedoch besetzten die Nazis die Niederlande und so war sie dort auch nicht mehr sicher. Als die Nazis 1942 Annes Schwester aufforderten, sich in ihrem (Nazi-)Arbeitslager zu melden, tauchte die Familie unter. Sie hielt sich hinter einem Bücherregal verborgen, bis man sie dort 1944 entdeckte. Während dieser Zeit im Versteck schrieb Anne ihr Tagebuch. Obschon alle ihre Angehörigen, außer ihrem Vater, in den Kzs der Nazis umgekommen waren, blieb ihr Tagebuch verborgen und ihre Vater veröffentlichte es nach dem Krieg.

Andere jüdische Tagebuchschreiber im Holocaust

Andere Juden verfassten ebenfalls Tagebücher, während sie sich vor der Verfolgung durch die Nazis versteckt hielten.

  • Etty Hillesum (1914 – 1943) führte ein Tagebuch, in dem sie ihr gefährliches Leben als eine von den Nazis verfolgte holländische Jüdin beschrieb. Sie starb in Auschwitz.
  • Miriam Chaszczewacki  (1924–1942) wurde mit 15j Jahren ein Opfer des jüdischen Holocaust. Sie hatte 1939  damit begonnnen, ihr persönliches Tagebuch über ihr Leben im Getto von Radomsko bis kurz vor ihrem Tod 1942 zu beschreiben.
  • Rutka Laskier (1929–1943) war eine jüdisch-polnische Tagebuchschreiberin, die ihr Leben während des Holocaust in Polen chronologisch aufzeichnete. Die Nazis ermordeten sie in Auschwitz, als sie 14 Jahre alt war.
  • Věra Kohnová (1929 – 1942), war eine junge tschechoslowakische Jüdin. Sie schrieb ihr Tagebuch über ihre Gefühle und die Ereignisse während der Nazibesatzung vor ihrer Deportation und Ermordung in einem der Vernichtungslager der Nazis.

Verfolgt – eine jüdisch-geschichtliche Realität

Flucht vor Verfolgern, die einem nach dem Leben trachten, war nicht nur eine Holocaust-Episode, sondern immer schon Teil der jüdischen Geschichtserfahrung. Bereits von Anbeginn der Nation an floh der Erzvater Jakob vor seinem Bruder Esau, der ihm nach dem Leben trachtete. In den folgenden Jahrhunderten war die Flucht vor Verfolgern die stets drohende Gefahr für Jakobs Nachkommen.

Jesu Kindheit: Verfolgt und verborgen

In dieser Hinsicht überrascht es nicht, wenn die Evangelien davon berichten, dass auch Jesus, genau wie Anne Frank, in ein anderes Land fliehen musste, und zwar kurz nach seiner Geburt. Matthäus berichtet, dass die Weisen aus dem Osten Jesus aufsuchten und damit bei Herodes dem Großen große Angst auslösten. Matthäus schreibt:

12 Und da sie im Traum angewiesen wurden, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg zurück in ihr Land.

Die Flucht nach Ägypten

13 Als sie aber weggezogen waren, siehe, da erscheint ein Engel des Herrn dem Joseph im Traum und spricht: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit dir und fliehe nach Ägypten und bleibe dort, bis ich es dir sage; denn Herodes will das Kind suchen, um es umzubringen! 14 Da stand er auf, nahm das Kind und seine Mutter bei Nacht mit sich und entfloh nach Ägypten. 15 Und er blieb dort bis zum Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten geredet hat, der spricht: »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen«.

Der Kindermord in Bethlehem

16 Als sich nun Herodes von den Weisen betrogen sah, wurde er sehr zornig, sandte hin und ließ alle Knaben töten, die in Bethlehem und in seinem ganzen Gebiet waren, von zwei Jahren und darunter, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erforscht hatte. 17 Da wurde erfüllt, was durch den Propheten Jeremia gesagt ist, der spricht:

18 »Eine Stimme ist in Rama gehört worden, viel Jammern, Weinen und Klagen; Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind«.

Die Rückkehr nach Nazareth

19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erscheint ein Engel des Herrn dem Joseph in Ägypten im Traum 20 und spricht: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter zu dir und zieh in das Land Israel; denn die dem Kind nach dem Leben trachteten, sind gestorben! 21 Da stand er auf, nahm das Kind und seine Mutter zu sich und ging in das Land Israel.

22 Als er aber hörte, daß Archelaus anstatt seines Vaters Herodes über Judäa regierte, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und auf eine Anweisung hin, die er im Traum erhielt, zog er weg in das Gebiet Galiläas. 23 Und dort angekommen, ließ er sich in einer Stadt namens Nazareth nieder, damit erfüllt würde, was durch die Propheten gesagt ist, dass er ein Nazarener genannt werden wird.

Matthäus 2,12-23

Matthäus berichtet, wie zornig König Herodes auf die Weisen war, die ihn überlistet hatten. Er fühlte sich durch Jesus bedroht, und so orchestrierte er die Ermordung aller Knaben in Bethlehem unter zwei Jahren. Er hoffte durch dieses Blutbad Jesus umzubringen. Aber Jesu Eltern konnten mitten in der Nacht fliehen und lebten dann untergetaucht im Ausland (Ägypten), ähnlich wie Anne Frank, um einer mörderischen Bedrohung zu entkommen. 

wegen Herodes dem Großen

Herodes der Große, der geniale, aber skrupellose König von Judäa, regierte unter Herrschaft des römischen Kaisers von 37 v.Chr. bis 4 n.Chr. Herodes’ Vater, Antipatros (auch Antipater oder Antipas), ergriff die Initiative, nachdem die Römer 63 v. Chr. Jerusalem besiegt hatten. Er errang sich die Gunst Roms und wurde dessen Klientelkönig über Judäa. Herodes, der den Thron seines Vaters erbte, manövrierte geschickt die Intrigen, die seine Position stärkten. Er förderte viele grandiose Bauprojekte, von denen heutzutage noch mehrere als Touristenattraktionen in Israel gelten. Masada und Caesarea wurden zu populären israelischen Touristenattraktionen, die noch von seiner Bautätigkeit als Ruinen überlebt haben. Sein prächtigstes Bauprojekt war jedoch der Neubau des zweiten Tempels in Jerusalem. Er wollte damit alle Prachtbauten im gesamten Römischen Reich überbieten. Wo immer im Neuen Testament vom “Tempel” die Rede ist, bezieht es sich auf diesen von Herodes errichteten Tempel.

Ruinen auf dem Herodianischen Tempelgelände
Caesarea, erbaut im Auftrag von Herodes
Masada, erbaut im Auftrag von Herodes
Maßstabsmodell von Jerusalem mit dem Herodianischen Tempel

Herodes des Großen Skrupellosigkeit, im Einzelnen dokumentiert vom Geschichtsschreiber Josephus, wird dadurch belegt, dass er mehrere seiner Frauen und Kinder ermorden ließ, sobald er deren Untreue befüchtete; wobei er nie davor zurückschreckte, das Blut seiner Untertanen zu vergießen. Matthäus, von allen, die von den Gräueln berichten, die von Herodes begangen wurden, ist zwar der Einzige, der die Ermordung der männlichen Kleinkinder in Bethlehem erwähnt; aber auch diese Tat steht im Einklang mit allem, was wir von Herodes wissen.

Herodes der Große war ein Idumäer (oder: Edomiter), ein Nachfahre Esaus, des Bruders Jakobs/Israels. Somit berichtet Matthäus von einer edomitischen Lebensbedrohung gegen Jesus.

Die gewagte These: Jesus als Israel

Dies macht es Matthäus möglich aufzuzeigen, wie er diese Ereignisse verstand. So legt er den Bezugsrahmen dar oder die Perspektive, durch die ihm der Sinn des Lebens Jesu ersichtlich wird. Dabei bezieht er sich kurz auf ein Zitat (s.o. unterstrichen in Matthäus 2,15) des Propheten Hosea (700 v.Chr.):

„Als Israel jung war, liebte ich ihn, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.”

Hosea 11,1

Hosea machte diese Aussage, um an den  Auszug der jungen Nation Israels unter Moses aus Ägypten zu erinnern. Er stellte Israel als junges Kind Gottes und Gottes „Sohn” dar, weil dieser Exodus sich in der Frühzeit der Geschichte dieses Volkes zugetragen hatte. Für Matthäus war es jedoch klar, dass es sich auf Jesus bezog, der ja ebenfalls aus Ägypten zurückkam. Somit stellt Matthäus eine kühne These auf, wonach Jesus sozusagen das gesamte Volk Israel verkörpert. Aus Sicht des Matthäus ist Jesus das Urbild, die originale Blaupause, die Erfüllung oder Vervollständigung Israels. Jesus ist das Muster, nach dem sich alle Erfahrungen des Volkes Israel ausrichten.

Unterstützende Belege für diese These

Matthäus bezeichnet die Rückkehr Jesu aus Ägypten in dessen Jugendzeit als ein Beweismittel für seine These, weil er darin eine Parallele zum Auszug des erst jüngst gegründeten Volkes Israel aus Ägypten sieht. Zudem ist die immer gegenwärtige Erfahrung der Juden in ihrer Geschichte, fluchtbereit zu sein und sich verstecken zu müssen, wie in der Erfahrung Anne Franks veranschaulicht, ein Gleichnis von der Erfahrung Jesu, fliehen und sich verbergen zu müssen.

Die parallele Übereinstimmung geht noch tiefer – zurück auf die Frühzeit der Nation. Jakob, auch Israel genannt, war der erste Nachkomme (Same) Abrahams, der gezwungen war, zu fliehen und sich zu verbergen (vor seinem Bruder Esau).  Jesus musste vor Herodes dem Großen, einem Edomiter (Idumäer) und Nachkömmling Esaus, fliehen. Wie Israel vor Esau flüchtete, musste auch Jesus (in seiner Verkörperung Israels) vor Esaus Nachkömmling fliehen. Von Matthäus’ Blickpunkt aus flohen demnach beide Israels vor Esau:

Geschichtliche Zeitlinie

Wir sehen somit, dass Jesu wundersame Geburt die wundersame Geburt Isaaks widerspiegelt. Seine Flucht vor Herodes ist eine Parallele zu Jakobs Flucht vor Esau; und seine Rückkehr aus Ägypten nach Israel bildet die Parallele zum Exodus der Israeliten unter Moses ins verheißene Land.

Ist die These des Matthäus haltbar?

Lag Matthäus hier richtig? Das gesamte als Israel bekannte Projekt fing mit folgender Verheißung Gottes an Abraham an:

„… in dir [oder: durch dich] sollen gesegnet werde

alle Geschlechter auf der Erde!”

Mose 12,3

Das ist ein Angebot des Segens Gottes an dich und mich; und da Jesus durch Abraham auf die Erde kam, lohnt sich eine weitere Untersuchung dieses Gedankens. In diesem Sinne wollen wir daher weiterhin das Leben Jesu betrachten, und uns als Nächstes mit der Person beschäftigen, die Jesu Weg vorbereitete: mit Johannes dem Täufer – und zwar aus der Sicht des jüdischen Rebellen Simon Bar Kochba.

1 thought on “Jesus als Israel: Flucht vor Herodes dem Großen”

  1. Hallo Leute, hallo Ragnar!
    Ich denke schon, dass diese vorgenannte These von Matthäus hier aufgeht, in dem er auf den Propheten Hosea verweist. Wie ein zusammenhängendes Band kann die Entwicklung des israelischen Volkes, insbesondere durch die
    Verstreuung über die ganze Erde, als Hinweis auf Flucht und deren Kolateralverbindungen wie Ängste, Sorgen, unter-
    drückte Sehnsüchte etc., etc. innerhalb jedes einzelnen Israeliten bzw. des gesamten Volkes, ansehen.

    So, wie ich die Bibel verstanden habe, hatte, weil er mußte, Gott vor, dass bestimmte Menschen, die er noch prüfen wollte,
    neben gut auch das böse, in bzw. mit all seinen Facetten kennenzulernen. Dazu gehörte über einen bestimmten Zeitraum hier auch die Sklaverei, Verfolgungen, Flucht mit Ängsten und Sorgen und das so lange, bis der Mensch als ganzes Kollektiv zwingend erkennt, dass er ohne Gott, seinen Sohn und den heiligen Geist, diese Erde nicht verwaltet bekommt.

    Gott muss bis zum absoluten Schluß der Menschheit zeigen, auch in dem er sich zurückhält aus Allem, dass das Böse in all seinen Facetten unglaublich schreckliche Dinge erzeugen kann, die er selbst nicht wollte bzw. will, aber wir Menschen selbst zu verantworten haben, weil wir als Erben von Adam durch die Erbsünde dieses Böse, jeder mit seinem persönlichen Päckchen, welches er sein Leben lang zu tragen hat, faktisch erleben sollen.

    Gott beweist uns über die Auferstehung seines Sohnes, dass er von Anfang an etwas ganz anderes mit uns Menschen
    vorhatte, nämlich ein unglaublich wunderbares ewiges Leben, ohne Sorgen und Ängste, Flucht, Streit etc., etc. Gott hat
    sich in das von ihm selbst geschaffene Wesen “Mensch” so sehr verliebt, dass er sogar dafür bereit wahr, das Leben als Mensch seines Sohnes am Kreuz von Golgatta mit unglaublichen Schmerzen zu opfern.

    Er musste auch so vorgehen, denn Gott ist nicht nur ein liebender, sondern auch ein gerechter Gott. Gerechtigkeit und Liebe sind zwei verschiedene Tugenden. Ich versuche es mal an einem Beispiel zu erläutern:

    Eine junge Frau wird wegen eines Verkehrsdeliktes vor Gericht gestellt. Der Richter verlaß die Anklageschrift und fragt die Frau: Erklären Sie sich für schuldig oder unschuldig? Die Frau bekannte sich schuldig. Der Richter fällte das Urteil, es lautete einhundert Dollar, oder ersatzweise zehn Tage Haft. Doch dann geschah etwas Unglaubliches. Der Richter erhob
    sich, legte seine Robe ab, verließ den Richtertisch, zog die Brieftasche aus seiner Jacke und bezahlte die einhundert Dollar.

    Wie ist das zu erklären? Ganz einfach. Der Richter war der Vater der Frau. Er liebte seine Tochter, doch er war und musste
    aber auch ein gerechter Richter sein. Seine Tochter hatte das Gesetz übertreten und er konnte nicht einfach zu ihr sagen:
    Weil ich Dich so sehr liebe, vergebe ich Dir. Du kannst gehen. Dann wäre er kein gerechter Richter mehr gewesen. Er hätte selbst das Gesetz gebrochen, weil dieses Gesetz, welches im zwischenmenschlichen Bereich absolut notwendig ist, zunächst beachtet werden muss, damit der Mensch aus Fehlverhalten (hier: Sünde) lernt, dass diese Sünde zuerst gerichtet werden muss, dann aber anschließend aus Liebe durch anderweitige Übernahme erlassen werden kann.

    Genau dieses hat Jesus Christus für uns getan!!!!!

    Auch Jesus Christus sollte als menschgewordener Gott diese Facetten des Bösen kennen lernen und mußte das Böse an sich nicht nur durch körperliche Gewalt sondern auch durch Respektlosigkeit, Spott, Erniedrigung, erdulden. Hierzu gehörte dann auch die Flucht nach Ägypten!!

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